"aus LICHT wird dás Musiktheaterlebnis 2019" - NRC Handelsblad

Dieser Artikel wurde am 2. Januar 2019 veröffentlicht in in der niederländischen Zeitung NRC Handelsblad

Fünfzehn Stunden experimentelles Theater: Man sollte sich Stockhausens aus LICHT einfach ausliefern - 7 Fragen zu Stockhausen

De Nationale Opera, das Holland Festival und das Königliche Konservatorium Den Haag bündeln ihre Kräfte für Karlheinz Stockhausens aus LICHT, die längste Oper, die je geschrieben wurde. Die Aufführung aller sieben Teile vom 31. Mai bis 10. Juni 2019 wird ein historisches, international noch nie dagewesenes Ereignis. Hier eine Schnelleinführung in Stockhausen in sieben Fragen.

1 Fünfzehn Stunden experimentelles Musiktheater vom Avantgardekomponisten Karlheinz Stockhausen. Das scheint mir fast zu viel des Guten. Muss man sich darauf freuen? 

Magst du Gesamtkunstwerke, in denen alles, also Gesang, Instrumentalmusik, Theater, Tanz, Licht und Farbe zusammenkommt? Bist du bereit, dich für ein komplett neues und ziemlich megalomanisches Universum zu öffnen, in denen ein Streichquartett mit einem Hubschrauber in die Luft geht – Stockhausen selbst war vom Fliegen, von Vögeln und Luftfahrzeugen fasziniert - und Engelchöre in Prozession in sieben Sprachen singen?

Dann kannst du dich freuen. Als Regisseur Pierre Audi verkündete, eine Reihe von Vorstellungen mit Fragmenten aus Stockhausens Opernheptalogie LICHT, siebenteilig, genauso wie Harry Potter, werde der Schlussakkord seiner dreißigjährigen Laufbahn als Direktor der Nederlandse Opera (DNO), gab es übrigens auch Gegenstimmen. Eine Internetpetition gegen aus LICHT wurde 52-mal unterzeichnet. „Ein idiotisches Unterfangen", schrieb jemand; „ein monströses Projekt für the happy few” nannte es ein Anderer und ein Dritter nannte Stockhausen „einen Faschisten“. 

2 War Karlheinz Stockhausen tatsächlich Faschist?

Nein. Er war ein monomaner Perfektionist, der für seine eigene Musik und in ihr lebte. Dieser Vorwurf findet seinen Ursprung in einer explosiven Aussage Stockhausens über die Anschläge auf die Twin Towers am 11. September 2011, die er als „größtes Kunstwerk" bezeichnete. Er korrigierte seine Aussage noch am gleichen Tag. Natürlich fand er die Anschläge „auch ein Verbrechen". Ihr Künstlerisches verbarg sich für ihn in der jahrelangen Planung der Anschläge; einer wahren „Teufelskomposition". Aber der Skandal war nicht mehr aufzuhalten. Konzerte wurden abgesagt und Tochter Majella schüttelte den Namen Stockhausen wie eine schmutzige Jacke ab.

Zur Verdeutlichung: Stockhausen (1928-2007) war im Zweiten Weltkrieg Heranwachsender. Seine geisteskranke Mutter wurde 1941 im Rahmen des Rassenhygieneprojekts der Nationalsozialisten, die von „lebensunwertem Leben" sprachen, ermordet. Sein Vater, ein Lehrer, fiel an der Ostfront. Stockhausen war mit 16 Jahren Waise. Den Himmel über seiner Heimat, dem hügeligen Bergischen Land östlich von Köln, wo er sich später auf Dauer niederließ, sah er durch Abwehrgeschütze, Phosphorbomben und abstürzende Flugzeuge hell erleuchtet. Das verbreitete Todesangst, war aber auch von grausamer Schönheit. Kenner sagen, man könne Stockhausens vielseitiges, jedoch konsequent spirituelles Oeuvre als lebenslangen Versuch verstehen, eine Antwort auf diese Kindheitstraumata zu finden. Die zweite von Stockhausens vier Frauen, die Künstlerin Mary Baumeister, beschreibt es in ihrem fesselnden autobiografischen Buch „Ich hänge im Triolengitter. Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen" wie folgt: „Der Urgrund von Stockhausens Musik ist Schmerz und das Heilmittel Liebe.” 

3 Warum hat Stockhausen gerade in aus LICHT 25 Jahre seiner Lebensenergie investiert und warum musste das Werk unbedingt so umfangreich sein? 

Mit aus LICHT komponierte Stockhausen den längsten Opernzyklus in der Geschichte der Menschheit. Die Urkonzeption entstand 1977 in Kyoto, wo der Gesang von Mönchen bei Stockhausen zu der Erkenntnis führte, dass sämtliche Arten der Weltmusik den gleichen Ursprung haben; dass sie zwar unterschiedlich, aber im Prinzip verwandt sind. Daraus entstand die Idee, innerhalb von 25 Jahren sieben Opern mit einer verbindenden Botschaft zu komponieren. 

aus LICHT wurde noch nie integral aufgeführt. Es gibt also vorläufig noch niemanden, der über ein vollständiges Eintauchen in das Werk erzählen kann. In den fünfzehn Stunden, die im Juni im Gashouder in Amsterdam zu sehen sind, an einem einzigen Ort, obwohl Stockhausen sich eigentlich sieben eigens ausgewählte Theater wünschte, fehlen „viele wichtige Szenen", so Suzanne Stephens, Klarinettistin und Witwe des Komponisten. Aber die Amsterdamer Trilogie aus LICHT ist die erste „umfassende" szenische Aufführung überhaupt.

4 Haben die sieben Opern eine durchlaufende Handlung?

Die Opern tragen jeweils den Namen eines Wochentags. Hinzu kommen Farben, Symbole und Düfte. Es gibt auch eine Art Handlung um die drei archetypischen Hauptpersonen Michael, Eva und Luzifer mit Instrumentalisten und Tänzern auf dem Podium. Diese Geschichte ist jedoch lediglich die Gischt der darunterliegenden Bedeutungsschichten. Letztendlich nimmt man die Szenen mehr als träumerische, modulare Sequenz wahr, wobei manche Ereignisse sehr konkret auf Stockhausens Jugenderinnerungen Bezug nehmen. 

Muss man das alles verstehen? Nein, aus LICHT muss man über sich ergehen lassen. Skeptische Fragen über Sinn und Unsinn sollte man beiseiteschieben und sich der Musik und dem Theater hingeben, die „alles auf eine höhere Ebene bringen", wie es auf der Website von aus LICHT heißt. Danach verlässt man den Saal mit erneuertem Glauben an die Stärke und Notwendigkeit aktiver menschlicher Verbindung und die Liebe als die Antwort auf Unvollkommenheit. Wenn Menschen in der Lage sind, aus negativen Erfahrungen Kraft zu schöpfen und sich über Unterschiede hinwegzusetzen, können sie zu Gemeinsamkeit kommen und so eine Welt mit mehr Harmonie schaffen. Die Worte Glaube, Hoffnung und Liebe sind in die Scheibe auf Stockhausens Grab eingraviert. 

5 Amen! Ist das alles, was es dazu zu sagen gibt?

Das wäre zu einfach. Stockhausen wurde als Kind katholisch getauft. Überall in aus LICHT erkennt man christliche Wurzeln. Stockhausen selbst betrachtete das „geistig-religiöse" als sein Leitmotiv. Aber sein spiritueller Horizont war breit. Auch östliche Religionen und das mystische, aus dem „Jenseits" empfangene „Urantia Buch“ (Chicago, 1955) waren von Einfluss. 

Verrückt oder genial? Vermutlich ein wenig von beidem. Die Musik ist nicht 29 Stunden lang genial, Fragmente aber sind das sehr wohl. Und Sinnlichkeit und Dringlichkeit der Musik sind immer offenkundig. 

6 Die musikalische Leitung von aus LICHT liegt in Händen von Stockhausens letzter Witwe, Kathinka Pasveer. Warum? 

Stockhausen war hundertprozentiger Perfektionist. Wenn etwas nicht gut lief, bekam er Magenkrämpfe. Deshalb legte er vieles in faustdicken Partituren fest und wirkte bei zahllosen Aufführungen seiner Musik aktiv mit. Bei Beleuchtung und Bühnenbild gewährte er jedoch Freiheit, dafür wird in Amsterdam der Lichtgestalter Urs Schönebaum verantwortlich sein. Im letzten Moment wird Regisseur Pierre Audi mit seiner „Rauminszenierung" noch Atmosphäre hinzufügen. 

Abgesehen davon beginnen Stockhausens Partituren schon mit seitenlangen Anweisungen: Wie die Lautsprecher aufzustellen sind, wie man die erforderliche Trommel baut, wie die Dynamik aufgebaut wird und wie man einen bestimmten Textabschnitt singt: zum Beispiel „mit etwas offenen, lockeren Lippen". Sogar die Choreografie für die Sänger ist in Noten festgehalten.

Kathinka Pasveer, die jahrelang mit Stockhausen zusammenarbeitete, ist jetzt bei den Proben zu aus LICHT „päpstlicher als der Papst". Sie strebt nach hundertprozentiger Präzision in sämtlichen Parametern. Die Musiker, darunter viele Studenten des speziell für diese Aufführungen gegründeten aus LICHT-Masterstudiengangs des Königlichen Konservatoriums Den Haag, haben dafür viel Wertschätzung. „Man fühlt es, wenn man genau das tut, was da steht", sagen sie. Als ob ein Bild scharfgestellt wird. Obwohl das widersprüchlich erscheint, kann gerade diese Präzision starke Emotionen hervorrufen. 

Interessant ist auch die Rolle der Elektronik in den Opern. „Es ist meine Aufgabe, mich an die Technik anzupassen, die in meiner Zeit möglich ist", sagte Stockhausen, Pionier der elektronischen Musik. Aber seine Erben bewachen paradoxerweise jetzt ein erstarrtes Ideal, obwohl die Apparatur, die Stockhausen damals wählte, zum Teil gar nicht mehr existiert. Deshalb setzen die modernen „Soundjungs“ die bei aus LICHT arbeiten, heimlich doch neueste Errungenschaften ein. 

7 Was hätte Stockhausen selbst darüber gedacht? 

Er schließt ein zwinkerndes Lächeln nicht aus. Stockhausen hatte Gefühl für Humor und konnte relativieren. „Mein Lebenswerk ist nur ein kleines Ministück in der Entwicklung der Musik", sagte er einmal, obwohl er heilig an das Heil seiner eigenen Musik glaubte. 

Karlheinz Stockhausen wurde am Donnerstag, den 13. Dezember 2007 auf dem Waldfriedhof in seinem Wohnort Kürten beigesetzt. Dort wohnen seine Witwen, die sich unermüdlich für die Stockhausen-Stiftung einsetzen. Sie führten auch alle von Stockhausen hinterlassenen Anweisungen für die Beisetzung präzise aus, einschließlich der speziell herzustellenden blauen Fliesen für seine Gruft, das Gravieren der enormen stählernen Grabscheibe und das Pflanzen der duftenden (!) Pflanzen daneben. 

Nur seinen Pullover wählten sie selbst aus. Die Witwen wählten den Sonntagspullover, den weißen mit Goldfäden, der ihnen am besten gefiel. Sie schmunzelten darüber, dass es statt des Donnerstagpullovers sein Sonntagspullover war. „Darüber hätte er sich vielleicht geärgert."